Noch einmal gehe ich durch die Zeit. Ich kehre zurück nach Mykene. Fragen blieben ungeklärt. Ich will Antwort für sie. Hier und jetzt werde ich sie nicht finden. Ich muss die Reise noch einmal wagen, dorthin, wo die Vergangenheit noch unverändert, unberührt ist von Wissen und Mode. Dort will ich die Menschen sehen und hören, deren Schicksal ich bestenfalls erahne.
Namen kommen mir in den Sinn: Klytaimnestra - Gattenmörderin, Ehebrecherin! Andere Namen folgen: Iphigenie, Elektra, Oresthes und Agamemnon auch. Wir hörten deren Geschichten und Bruchstücke sind schnell zur Hand, die abwinken will nur zu leicht. Alt sind diese Geschichten. Oft und immer wieder gleich erzählt: die Axtmörderin, ihr Buhle und die unversöhnlich trauernde Tochter.
Warum so? Warum kennen wir sie nicht anders? Hier und jetzt will ich sie erzählen, getreuer vielleicht der Wirklichkeit. Ich kann es nicht wissen. Ich muss es hoffen.
Klytaimnestra - (Ein Auszug)
Was aber blieb mir, als derart zu handeln? Was blieb mir, als mich zu entscheiden für meine Kinder, für mich und Mykene.
Nicht ohne Überlegung handelte ich und nicht ohne Abwägen. Was Iphigenie weckte in mir und er mir androhte dafür, zwang mich zur Entscheidung. Was ich für mich erkämpfte, nicht ohne Widerstand, das galt es zu schützen.
Ich nahm den Kindern den Vater, das ist wahr. Aber was war er für ein Vater? Was war Agamemnon für ein Mann und was war er mir für ein Gemahl? Niemand mehr fragt danach. Nicht einer will noch wissen, was und wie er war in Wahrheit. Mein Opfer haben sie aus ihm gemacht und wenn es auch wahr ist, bleibt es nur ein Teil der Wahrheit. Niemand, scheint es, will noch wissen, wie er uns und Mykene beherrschte.
Blinde Wut und grundlosen Hass hat man mir später zugedichtet. Seinen Teil verschweigt die Zeit. Bestenfalls eine trauernde Mutter gestattet sie mir zu sein, die ihr Kind rächte. Halbe Wahrheiten sind auch halbe Lügen.
Nichts Schlechtes soll man sagen über Tote. Nicht nachreden denen, die nicht mehr Antwort stehen können. Die ins Reich der Schatten reisten, sollen sicher sein, vor übler Rede für immer. Was ist aber mit mir? Wann habe ich dieses Recht verloren?
Wie würde er antworten, wenn ich ihm Fragen stellte? Würde er auch jetzt noch lügen, wie er es oft tat zu Lebzeiten? Ich bin mir dessen sicher.
Keine Wahl hätte er gehabt damals auf Aulis. Keine Wahl? Waren es nicht seine Entscheidungen, die uns am Ende hierherführten? Die uns, nein mich, zu meinen Schritten zwangen? Würde er mich zurechtweisen wieder, als sein ihm gehöriges Weib, wie er es oft tat? Selbst wenn er sich im Unrecht wusste, widersprach er mir oder verbot mir das Wort. Sicher würde er das wieder tun. Das tat er immer.
Geschützt war er durch seinen älteren Bruder Menelaos, aber immer nur zweiter durch ihn. Das hatte seinen Charakter wohl verdorben über die Jahre. Im Schatten seines Bruders aufgewachsen, schmückte er sich nicht selten mit Taten, die andere vollbrachten. Wie er sich auch zum Sieger über Troja erklärte, als großer Heerführer, obwohl jeder wusste, dass es Odysseus List war, die den Sieg schlussendlich brachte.
Nicht ohne Folgen war mein Handeln und der Preis am Ende hoch. Immer zahlen Frauen, wenn sie das Spiel der Männer spielen. Die Götter lieben es nicht, wenn wir deren Regeln erlernen. Nur Männern, wie Agamemnon, scheint es, erlauben sie Macht ohne einen Preis. Doch änderte ich diese Regeln und ließ ihn zahlen für sein Tun."